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Siebe Jan Bouma

Groningen 1899 - Den Haag 1959

Jan Wiegers, Porträt S. J. Bouma, 1934, Sammlung Stichting De Ploeg
Jan Wiegers, Porträt S. J. Bouma, 1934, Sammlung Stichting De Ploeg

Ein Kind unserer Zeit sind wir alle, das ist unvermeidlich. Es gibt jedoch Menschen, die die Möglichkeiten und Umstände ihrer Zeit optimal zu nutzen wissen. Mein Großvater, Siebe Jan Bouma war so ein Mensch. Mit harter Arbeit, Abendstudium und einer gehörigen Portion Talent wurde der Sohn eines friesischen Tischlers zum Ende seiner Laufbahn „leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts Ländliche Architektur“ im niederländischen Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Auf der Suche nach interessanten Architekturdenkmälern bereiste er mit seinem Chauffeur das ganze Land (selbst hatte er keinen Führerschein).

Siebe Jan Bouma, Bleiglasfenster im Treppenhaus des ehemaligen Stadtbauamtes, Foto Taco Tel
Siebe Jan Bouma, Bleiglasfenster im Treppenhaus des ehemaligen Stadtbauamtes, Foto Taco Tel
Siebe Jan Bouma, Detail des Bleiglasfensters im Treppenhaus des ehemaligen Stadtbauamtes
Siebe Jan Bouma, Detail des Bleiglasfensters im Treppenhaus des ehemaligen Stadtbauamtes

Bleiglasfenster

Es ist nach wie vor erstaunlich, wie sich ein junger Mann nach seiner Tischlerlehre in so kurzer Zeit zum Stadtarchitekten entwickeln konnte, auch wenn es den Titel zu jener Zeit noch nicht gab und mein Großvater nie weiter kam als „technischer Zeichner erster Klasse“. Noch bevor er 1926 eine Festanstellung bekam, arbeitete er an seinem Meisterwerk, dem Gebäude des Stadtbauamts am Gedempte Zuiderdiep, für das er Mobiliar und Innenausstattung entwarf wie auch die beeindruckende Eingangshalle mitsamt Bleiglasfenstern.

Das von Siebe Jan Bouma entworfene Gebäude des Stadtbauamts am Gedempte Zuiderdiep in Groningen (1928). Im denkmalgeschützten Bauwerk (Reichsmonument 485594) ist heute das Amt für Raumordnung und Wirtschaft untergebracht.
Das von Siebe Jan Bouma entworfene Gebäude des Stadtbauamts am Gedempte Zuiderdiep in Groningen (1928). Im denkmalgeschützten Bauwerk (Reichsmonument 485594) ist heute das Amt für Raumordnung und Wirtschaft untergebracht.

Anerkennung

Für uns ist wichtiger, was er hinterlassen hat. Zum Beispiel einen visionären Plan für das Freilichtmuseum über die Kultur des Zuiderzeegebiets, der Jahrzehnte nach seinem Tod verwirklicht wurde. Außerdem ist er der Architekt des Miniaturparks Madurodam – etwas, worauf ich als Kind mächtig stolz war. Die fruchtbarste Zeit jedoch waren seine jungen Jahre zwischen 21 und 43, als er für die Stadt Groningen zahllose Gebäude, Schulen, Wohnhäuser, Brücken, Straßenbahnhaltestellen, Trafostationen und Pissoirs entwarf. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er vor dem Zweiten Weltkrieg das Gesicht der Stadt prägte. Diese Anerkennung wurde ihm glücklicherweise auch in Groningen selbst zuteil: Mittlerweile tragen Brücken und Schulen seinen Namen.

Bouma und De Ploeg

Eine so rasante Laufbahn vom Tischler zum Stadtarchitekten ist nur in einem Umfeld möglich, das Kreativität und Neuerungsgeist fördert. Mein Großvater lernte um 1925 die Künstler von De Ploeg kennen und, obwohl er nie aktiv Mitglied war (erst 1941 war die Rede von einer „vorläufigen Mitgliedschaft“), waren die Freundschaften, die er innerhalb der Künstlergruppe schloss, für seine Entwicklung prägend. Mein Großvater kannte viele Ploeg-Mitglieder, wie das Porträt von Jan Wiegers belegt, insbesondere aber verband ihn eine Freundschaft mit Johan Dijkstra, der ihn auch unterrichtete. Auch mein Großvater malte als nicht unverdienter Amateurkünstler bei Blauwbörgje unter freiem Himmel. Wie seine Ploeg-Kollegen handhabte er einen expressiven Stil, wenngleich seine Farbgebung und Komposition wesentlich traditioneller waren.

Worüber mögen sie gesprochen haben, während sie am Ufer saßen und malten? Oder bei einem Glas Bier im Café? Über De Stijl. Über den Konstruktivismus. Über die Artikel in den aktuellen Ausgaben der Kunst- und Architekturzeitschrift „Wendingen“. Über die Erhebung der Arbeiter. Mein Großvater mag kein Mitglied gewesen sein, am Groninger Diskurs hatte er sicher teil. Etwa als Vorstandsmitglied des aktiven Vereins zur Förderung der Architektur, dem auch Hendrik Werkman angehörte.

Als Künstler vereinte Siebe Jan Bouma Progressivität und Traditionalismus in besonderer Weise. Er begeisterte sich für den neuen Stil, für die Amsterdamer Schule, Dudok, das Neue Bauen, die Delfter Schule, und verband seine große Liebe fürs Detail und seinen Respekt vor dem Nutzer in seinen Entwürfen. Er war ein Romantiker, aber zugleich blieb er in all seinen Entwürfen auch ein Handwerker.

Als Denkmalpfleger war er ebenso visionär wie traditionell. So vertrat er die Überzeugung, dass das Zuiderzeemuseum nicht zu einem „Aufbewahrungsort für Raritäten“ werden sollte, sondern ein „lebendiges Museum“ mit echten Bewohnern (den ehemaligen Fischerfamilien), in dem die Boote vor dem Dekor der „salzigen Brise, der weiten Gewässer, der arbeitenden Leute, des würzigen Dufts dampfender Netze und geräucherten Fischs“ treiben sollten.

Mein Großvater war Möbeltischler, Grafiker, ausgezeichneter Fotograf, Maler, Zeichner, Architekt, Denkmalpfleger und Volkskundler, vor allem aber war er ein überaus freundlicher und intelligenter Mensch, heißt es. Kein Familienvater, sondern jemand, der bis tief in die Nacht arbeitete, während aus dem Radio laut klassische Musik schallte. O, wie gern hätte ich ihn kennengelernt.